Im Dom erzählen die Leute viel über das Kölner Wahrzeichen und Einiges über sich selbst.

Als es läutet steht die Frau mit ihrem schwarzen Kostüm, ihren weißen Haaren und ihrer weißen Haube noch draußen und blickt zu den zwei schwarzen Türmen hinauf. Während ihr deutlich jüngerer Begleiter den Schirm über sie hält, klammert sie sich an ihre Gehhilfe. Ihr gebückter Rücken sieht nach Erfurcht aus, wahrscheinlich lässt die Gesundheit oder das Alter aber keine andere Haltung zu. Jedenfalls wird sie zu spät kommen, denn als ich das große Klassenzimmer betrete, hat der Unterricht schon begonnen.

Es ist elf Uhr an einem grauen Montagmorgen und die Menschen wollen etwas lernen. Es haben sich schon Trauben um die verschiedenen Lehrerinnen gebildet. Manche können sich nicht entscheiden und wandern alleine oder in kleineren Gruppen zwischen den Holzbänken, den Statuen und den Fenstern herum. Ich setze mich hinter eine Gruppe älterer Zuhörer und verfolge die Rede ihrer Führerin. Sie erzählt, dass es in der Römerstadt Köln einen Tempel für Jupiter, Mars und Minerva gab und dass unter dem Dom die zweitgrößte römische Ausgrabung der Stadt liegt. Die erste christliche Kirche gab es im vierten Jahrhundert und war 40 Meter hoch. Als die Frau dann von Märtyrern anfängt, gehe ich weiter.

Am Eingang steht eine Schulklasse. Ihre Betreuerin berichtet gerade, dass es den Romantiker im 19. Jahrhundert zu verdanken ist, dass der unfertige Dom weitergebaut wurde. Vor allem der preußische König Friedrich Wilhelm IV wollte den Kölner Dom als „deutsches Nationalsymbol“ und Zeichen der preußischen Macht fertig stellen. 1842 wurde der Bau fortgesetzt, 1880 war es dann vollbracht. „Das müssen Sie sich vorstellen: 308 Jahre hat man für die erste Hälfte gebraucht, 38 für die zweite.“ So richtig kommt die Begeisterung bei der Klasse nicht an, aber zumindest scheint es, als höre sie zu.
Zwischen zwei Gruppen erfahre ich, dass es einer Frau hier zu kalt ist, woraufhin ihre Begleiterin sagt, dass das im Sommer sehr angenehm sei.

Sowieso sind die persönlichen Informationen die wertvollsten. Eine ältere Besucherin erzählt ihrer Freundin, dass sie und ihr Mann, der ziemlich unbeteiligt dreinblickt, lange vor ihrer Hochzeit einmal hier waren und so gerne hier geheiratet hätten. Das haben sie wohl nicht, trotzdem hat ihre Ehe gehalten. Der Dom ist doch nicht alles.

Als ich das neue Richter-Fenster betrachte, stehe ich neben der ehrfürchtigen Frau von draußen. Ihr Schirmherr erzählt, dass vielen das Fenster nicht gefalle. Sie sieht es sich lange an und sagt: „Wahrscheinlich sind die Leute enttäuscht, weil es keine Motive hat.“ Und nach einer Pause: „Es ist eben bunt. Schön bunt.“ Da weiß ich, dass ich heute nichts Besseres hören werde.
Auf dem Weg nach draußen komme ich an einer Grundschulklasse vorbei, deren Führerin nach eigenen Angaben 1,75 Meter groß und somit 12 Zentimeter kleiner ist, als das über 1000 Jahre alte Kruzifix, vor dem sie steht. Außerdem gefällt ihr nicht, dass das Kreuz so oft übermalt wurde, es sei viel zu dunkel. „Aber das ist Geschmackssache, das müsst ihr für euch selbst entscheiden, Kinder.“ Dann redet sie über den Heiland, der uns alle erlöst hat. So viel zum Selbst-Entscheiden, Kinder.
Draußen weht mir die laue Luft einer Gegenwart entgegen, die eindeutig noch auf ihre Erlösung wartet. Es ist halb zwölf und ich entscheide mich, ab und zu mal wieder hierher zu kommen. Schließlich habe ich in der halben Geschichtsstunde viel gelernt.

Foto: Dank an denmar